Von der Kürze des Lebens

An Paulinus

1. Die meisten Menschen, mein Paulinus, klagen über die Bosheit der Natur: unsere Lebenszeit, heißt es, sei uns zu kurz bemessen, zu rasch, zu reißend verfliege die uns vergönnte Spanne der Zeit, so schnell, daß mit Ausnahme einiger weniger den anderen das Leben noch mitten unter den Zurüstungen zum Leben entweiche. Und es ist nicht etwa bloß der große Haufe und die unverständige Menge, die über dies angeblich allgemeine Übel jammert, nein, auch hoch angesehene Männer haben, von dieser Stimmung angesteckt, sich in Klagen ergangen. Daher jener Ausruf des größten der Ärzte: »Kurz ist das Leben, lang die Kunst.« Daher der einem Weisen wenig ziemende Hader des Aristoteles mit der Natur: »Die Natur habe es mit den Tieren (oder Bäumen?) so gut gemeint, daß sie ihnen fünf, ja zehn Jahrhunderte Lebenszeit vergönne, während dem Menschen, der für so vieles und für so Großes geboren sei, ein so viel früheres Ende beschieden sei.« Nein, nicht gering ist die Zeit, die uns zu Gebote steht; wir lassen nur viel davon verlorengehen. Das Leben, das uns gegeben ist, ist lang genug und völlig ausreichend zur Vollführung auch der herrlichsten Taten, wenn es nur von Anfang bis zum Ende gut verwendet würde; aber wenn es sich in üppigem Schlendrian verflüchtigt, wenn es keinem edlen Streben geweiht wird, dann merken wir erst unter dem Drucke der letzten Not, daß es vorüber ist, ohne daß wir auf sein Vorwärtsrücken achtgegeben haben. So ist es: nicht das Leben, das wir empfangen, ist kurz, nein, wir machen es dazu; wir sind nicht zu kurz gekommen; wir sind vielmehr zu verschwenderisch. Wie großer fürstlicher Reichtum in der Hand eines nichtsnutzigen Besitzers, an den er gelangt ist, sich im Augenblick in alle Winde zerstreut, während ein, wenn auch nur mäßiges Vermögen in der Hand eines guten Hüters durch die Art, wie er damit verfährt, sich mehrt, so bietet unser Leben dem, der richtig damit umzugehen weiß, einen weiten Spielraum.

2. Was klagen wir über die Natur? Sie hat sich gütig erwiesen: das Leben ist lang, wenn man es recht zu brauchen weiß. Aber den einen hält unersättliche Habsucht in ihren Banden gefangen, den anderen eine mühevolle Geschäftigkeit, die an nutzlose Aufgaben verschwendet wird; der eine geht ganz in den Freuden des Bacchus auf, der andere dämmert in trägem Stumpfsinn dahin; den einen plagt der Ehrgeiz, der immer von dem Urteil anderer abhängt, den anderen treibt der gewinnsuchende, rastlose Handelsgeist durch alle Länder, durch alle Meere; manche hält der Kriegsdienst in seinem Bann; sie denken an nichts anderes, als wie sie anderen Gefahren bereiten oder ihnen selbst drohende Gefahren abwehren können; manche läßt der undankbare Herrendienst sich in freiwilliger Knechtschaft aufreiben; viele kommen nicht los von dem Glücke anderer oder von der Klage über ihre eigene Lage; die meisten jagt mangels jeden festen Zieles ihre unstete, schwankende, auch sich selbst mißfällige Leichtfertigkeit zu immer neuen Entwürfen. Manche wollen von einer sicher gerichteten Lebensbahn überhaupt nichts wissen, sondern lassen sich vom Schicksal in einem Zustand der Schwäche und Schlaffheit überraschen, so daß ich nicht zweifle an der Wahrheit des Wortes jenes erhabenen Dichters, das wie ein Orakelspruch klingt:

»Ein kleiner Teil des Lebens nur ist wahres Leben«

Der ganze übrige Teil ist nicht Leben, ist bloße Zeit. Von allen Seiten drängt und stürmt das Unheil an und läßt nicht zu, daß man den Blick erhebe zur Betrachtung der Wahrheit, drückt die Menschen vielmehr in die Tiefe und fesselt sie an die Begierden. Niemals wird es ihnen möglich, zu sich selbst zu kommen, und tritt zufällig etwa einmal eine Pause ein, dann schwanken sie hin und her wie das tiefe Meer, das auch nach dem Sturm noch in Bewegung ist; kurz, niemals lassen ihre Begierden sie in Ruhe. Und meinst du etwa, ich spräche nur von denen, über deren beklagenswerte Lage alle einig sind? Blicke hin auf jene, die allgemein als Glückskinder angestaunt werden: sie ersticken an ihrem eigenen Glücke. Wie vielen wird der Reichtum zur Last! Wie vielen raubt das Rednergeschäft und das tägliche Verlangen, ihr Talent leuchten zu lassen, die wahre Lebenskraft! Wie viele bieten infolge des unaufhörlichen Sinnengenusses den Anblick von wandelnden Leichen! Wie vielen läßt die sich drängende Klientenschar keinen freien Augenblick! Kurz, gehe sie alle durch vom Niedrigsten bis zum Höchsten: Der eine sucht einen Anwalt, der andere stellt sich ihm zur Verfügung; der eine ist in Gefahr, der andere übernimmt die Verteidigung; wieder ein anderer fällt das Urteil; keiner sichert sich sein Recht über sich selbst; der eine verzehrt sich im Dienst für den anderen. Frage nach jenen Stützen der Gesellschaft, deren Namen auswendig gelernt werden, du wirst sehen, man unterscheidet sie nach folgenden Merkmalen: der eine dient diesem, der andere jenem, keiner sich selbst. Ganz sinnlos ist demnach die Entrüstung so mancher: sie klagen über den Hochmut der Höherstehenden, weil diese für den zudringlichen Besucher keine Zeit gehabt haben! Darf sich irgend jemand herausnehmen, über den Stolz eines anderen zu klagen, der für sich selbst niemals Zeit hat? Jener hat dir unbedeutendem Gesellen doch irgendeinmal einen Blick gegönnt, wenn auch einen noch so hochfahrenden, er hat sein Ohr zu deinem Anliegen herabgelassen; du aber hast dich nie für wert gehalten, einen Blick in dich zu tun, auf dich selbst zu hören. Diese deine Dienstbeflissenheit gibt dir also keinen Anspruch auf Beachtung von Seiten irgend jemandes; denn als du sie ausübtest, lag dem nicht die Absicht einer Verbindung mit dem anderen zu Grunde, sondern nur das Unvermögen, dir selber anzugehören.

3. Mögen auch die glänzenden Geister aller Zeiten über diese Tatsache in Übereinstimmung sein, so werden sie sich doch niemals genug wundern können über diese geistige Finsternis der Menschen. Ihre Landgüter lassen sie von niemand in Beschlag nehmen, und beim geringsten Streit über die Feldmark rennen sie nach Waffen; was aber ihr eigenes Leben betrifft, so lassen sie andere in dasselbe eingreifen; ja nicht genug damit, sie bemühen sich sogar darum, andere zu Herren und Besitzern ihres Lebens zu machen. Es findet sich keiner, der sein Geld austeilen möchte; sein Leben dagegen, unter wie viele verteilt es ein jeder! Ihr Vermögen zusammen zu halten, sind sie immer eifrig beflissen; handelt es sich aber um Zeitverlust, so zeigen sie sich als die größten Verschwender da, wo der Geiz die einzige Gelegenheit hat, in ehrbarer Gestalt aufzutreten. Greifen wir also aus der Masse der Höherbetagten irgendeinen heraus: »Wir sehen, du bist an der äußersten Grenze menschlichen Lebens angelangt; hundert Jahre oder mehr noch lasten auf dir. Wohlan, überschlage dein Leben und gib Rechenschaft davon. Berechne, wieviel dir davon der Gläubiger, wieviel die Geliebte, wieviel der Angeklagte, wieviel der Klient entzogen hat, wieviel der eheliche Hader, wieviel die Sklavenzucht, wieviel das dienstbeflissene Umherrennen in den Straßen der Stadt; nimm dazu die selbstverschuldeten Krankheiten und was unbenutzt liegenblieb, so wirst du sehen: die Zahl deiner Jahre ist geringer, als du annimmst. Frage dein Gedächtnis, wenn du einmal deiner Sache wirklich sicher gewesen bist, wie wenige Tage deiner Absicht gemäß verlaufen sind, wie selten du mit dir selbst Umgang gepflogen, wie selten du dein wahres Gesicht gezeigt, wie oft dein Gemüt verzagt hat; frage dich, was du in dieser langen Lebenszeit tatsächlich geleistet, wieviel dir von deinem Leben durch andere weggenommen worden, ohne daß du den Verlust gewahr wurdest, wieviel dir vergebliche Trauer, törichte Freude, unersättliche Begierde, der Reiz der Geselligkeit Zeit geraubt, wie wenig dir von dem Deinigen geblieben - und du wirst einsehen, daß du stirbst, ehe du reif bist.«

Wie steht's also damit? Ihr lebt, als würdet ihr immer leben; niemals werdet ihr eurer Gebrechlichkeit euch bewußt; ihr habt nicht acht darauf, wieviel Zeit bereits vorüber ist; ihr verschwendet sie, als wäre sie unerschöpflich, während inzwischen gerade der Tag, der irgend einem Menschen oder einer Sache zuliebe hingegeben wird, vielleicht der letzte ist. Ihr fürchtet alles, als wäret ihr nur sterblich; ihr begehrt alles, als wäret ihr auch unsterblich. Wie oft vernimmt man die Äußerung: »Mit dem fünfzigsten Jahre begebe ich mich in den Ruhestand, mit dem sechzigsten mach' ich mich frei von aller amtlichen Tätigkeit.« Und wer leistet dir Bürgschaft für ein längeres Leben? Wer soll den Dingen gerade den Lauf geben, den du ihnen bestimmst? Schämst du dich nicht, nur den Rest deines Lebens für dich zu behalten und dir für dein geistiges Wohl nur diejenige Zeit vorzubehalten, die sich zu nichts mehr verwenden läßt? Welche Verspätung, mit dem Leben anzufangen, wenn man aufhören muß! Was für eine Torheit, was für ein gedankenloses Übersehen der Sterblichkeit, auf das fünfzigste und sechzigste Jahr alle Heilspläne hinauszuschieben und es sich in den Kopf zu setzen, das Leben zu beginnen an dem Punkte, bis zu dem es nur wenige bringen.

4. Den mächtigsten und höchstgestellten Männern entfallen, wie du bemerken wirst, Äußerungen, in denen sie ihren Wunsch nach Ruhe kundgeben; sie preisen diese und geben ihr den Vorzug vor allen ihren Herrlichkeiten. Sie wünschen mitunter von ihrer Höhe, wenn es ohne Gefahr geschehen kann, herabzusteigen; denn mag auch von außen keine Gefahr oder Erschütterung drohen, das Glück bricht in sich selbst zusammen.

Der selige Augustus, der sich mehr als sonst irgendeiner der Gunst der Götter erfreute, hat nicht aufgehört, sich Ruhe zu erflehen. Keine Unterhaltung, in der er nicht darauf zurückkam, er hoffe auf Muße: mit diesem süßen, wenn auch falschen Trost, daß er endlich einmal sich selbst leben würde, suchte er sich seine Arbeitslast zu erleichtern. In einem an den Senat gerichteten Schreiben, in dem er versprach, daß seine Ruhe der Würde nicht entbehren und von seinem früheren Ruhm nicht abstechen werde, finde ich folgende Worte: »Alles das sind Dinge, die sich besser in der Wirklichkeit ausnehmen werden als in der Verheißung. Mich indes hat der lebhafte Wunsch nach dieser heiß ersehnten Zeit, da die Freude an der Wirklichkeit noch auf sich warten läßt, dazu vermocht, mir im voraus einiges Vergnügen zu sichern durch den süßen Zauber der Worte.« In so hohem Maße begehrenswert erschien ihm die Muße, daß er sie sich in Gedanken im voraus lebhaft vorstellte, da die Wirklichkeit sie ihm noch versagte. Er, der alles von sich allein abhängig wußte, der über das Schicksal von Menschen und Völkern entschied, dachte in freudigster Stimmung an den Tag, wo er seiner Erhabenheit ledig würde. Er hatte an sich erfahren, wieviel Schweiß jene über alle Länder strahlende Herrlichkeit kostete, wieviel verborgenen Kümmernissen sie als Deckmantel diente. Genötigt, erst gegen seine Mitbürger, sodann gegen seine Amtsgenossen, schließlich auch gegen seine Verwandten die Waffen entscheiden zu lassen, hat er zu Wasser und zu Lande blutige Kämpfe geführt; durch Mazedonien, Sizilien, Ägypten, Syrien, Asien und fast an allen Küsten unter beständigen Kämpfen umhergetrieben, hat er die des Römermordens müden Legionen zur Verwendung für auswärtige Kriege bestimmt. Während er im Alpengebiet Ruhe schaffte und die Feinde bezwang, die sich mitten im Frieden in das Reich eindrängten, während er die Grenzen, sogar über den Rhein, über den Euphrat, über die Donau vorschob, wurden in Rom selbst die Dolche eines Murena, eines Caepio, Lepidus, Egnatius und anderer gegen ihn gewetzt. Noch war er den Nachstellungen nicht entgangen, da setzte seine Tochter und eine ganze Reihe adeliger Jünglinge, die durch sträflichen Umgang wie durch einen Eid an sie gefesselt waren, den bereits durch die Jahre geschwächten Herrscher in Schrecken, und Paulus und abermals ein an der Seite des Antonius Furcht erweckendes Weib. Diese Geschwüre hatte er mitsamt den Gliedern abgeschnitten; andere wuchsen nach. Wie ein durch Blutfülle beschwerter Körper ward er immer an irgendwelcher Stelle von einem Ausbruch heimgesucht. Daher wünschte er sich die Muße; in der Hoffnung und in dem Gedanken an sie beruhigten sich seine Arbeitssorgen; sie war der Wunsch dessen, der die Macht hatte, Wünsche zu erfüllen.

5. Marcus Cicero, hin- und hergeworfen zwischen Männern wie Catalina und Clodius, wie Pompejus und Crassus, die teils seine erklärten Feinde, teils zweideutige Freunde waren, während er mitsamt der Republik schwankte und sie vor dem Untergang zu bewahren suchte, schließlich bei Seite gedrückt, doch weder im Glück beruhigt noch gewappnet gegen das Unglück -wie oft verwünscht er selbst sein Konsulat, das nicht ohne Grund, aber maßlos gepriesen wird! Wie kläglich äußert er sich in einem Brief an Atticus zu jener Zeit, wo Pompejus, der Vater, bereits überwunden war, der Sohn aber in Hispanien die Niederlage wieder gut zu machen suchte. »Was ich hier tue«, schreibt er, »fragst du? Ich weile in meinem Tusculanum, ein Halbfreier.« Daran schließen sich noch weitere Äußerungen, teils Weherufe über die vergangene Zeit, teils Klagen über die Gegenwart, teils verzweifelnde Hinweise auf die Zukunft. Einen Halbfreien nannte sich Cicero. Aber wahrlich, nie wird ein Weiser sich zu einer solchen Erniedrigung seines Namens hergeben, niemals wird er ein Halbfreier sein, er, der doch immer im Besitz der ungeschmälerten und vollen Freiheit ist, aller Bande ledig, sein eigener Herr und emporragend über die anderen. Denn was könnte den überragen, der über dem Schicksal steht?

6. M. Livius Drusus war ein tatkräftiger und leidenschaftlicher Mann. Er war es, der, sich stützend auf einen gewaltigen Anhang aus der Bevölkerung ganz Italiens, neue Gesetzanträge stellte und das Gracchische Unheil wieder aufleben ließ. Nicht hinreichend scharfen Blickes, um den Ausgang der Dinge zu überschauen, war er weder in der Lage, die Sache durchzuführen, noch stand es ihm frei, das einmal Begonnene liegen zu lassen. So verwünschte er denn, wie es heißt, sein von Beginn an ruheloses Leben, wie man sagt, mit folgenden Worten: »Ich bin der Einzige, der nicht einmal in seinen Knabenjahren jemals einen Feiertag gehabt hat.« Denn er hatte den Mut, noch als Unmündiger und mit der Prätexta Bekleideter vor den Richtern als Anwalt von Angeklagten aufzutreten, und wußte auf dem Forum seinen Einfluß so wirksam geltend zu machen, daß er, wie bekannt, in mehreren Fällen den Richtern seinen Willen aufzwang. Wovon mochte ein so frühzeitiger Ehrgeiz sich abschrecken lassen? Kein Zweifel, eine so vorzeitige Krankheit mußte zum größten Unheil ausschlagen für ihn sowohl wie für den Staat. Zu spät also klagte er, es seien ihm keine Feiertage beschieden gewesen, da er von Kindheit an ein Brausekopf und eine Plage für das Forum war. Man streitet darüber, ob er selbst Hand an sich gelegt; er stürzte nämlich plötzlich an einem Stich durch den Unterleib zusammen; manche lassen es dahingestellt, ob sein Tod ein freiwilliger war, niemand aber, daß er zur rechten Zeit eintrat.

Es wäre überflüssig, noch eine Anzahl anderer anzuführen, die, während sie alle anderen an Glück zu überstrahlen schienen, ihrerseits selbst sich ein vernichtendes Zeugnis ausstellten, indem sie mit Widerwillen auf ihr ganzes vergangenes Leben zurückblickten. Indes durch solche Klagen haben sie weder andere noch sich selbst geändert; denn sobald die Worte verflogen sind, setzen die alten Leidenschaften wieder mit ihrem Spiele ein. Wahrhaftig, euer Leben, mag es auch tausend Jahre überschreiten, wird doch auf eine Winzigkeit zusammenschrumpfen; jenem Unwesen werden die Jahrhunderte der Reihe nach zum Opfer fallen; diejenige Zeitspanne aber, die trotz des raschen Naturverlaufes durch die Vernunft erweitert wird, muß euch allerdings rasch verfliegen; ihr ergreift sie ja nicht, haltet sie nicht fest und zwingt diese schnellste Läuferin nicht zum Stillstand, sondern laßt sie dahingehen wie etwas Überflüssiges und leicht Ersetzbares.

7. Vor allem rechne ich hierher auch diejenigen, die für nichts Zeit haben, als für Wein und Wollust; denn es gibt keine angebliche Beschäftigung, die ehrloser wäre als diese. Die anderen, mag auch nur das Trugbild des Ruhmes es sein, in dessen Bann sie stehen, haben bei ihren Verirrungen doch noch einen gewissen Schein für sich: Verweise mich auf Habgierige oder Jähzornige oder auf Männer, die ohne gerechten Grund hassen oder Krieg führen - sie alle können für ihre Fehler sich doch noch auf eine gewisse Männlichkeit berufen; aber wer sich an den Bauchesdienst oder die Wollust wegwirft, der bedeckt sich mit untilgbarer Schande. Prüfe nur im einzelnen genau die Art, wie sie ihre Zeit verwenden, sieh ihnen zu, wie lange sie rechnen, wie lange sie über ihren Anschlägen brüten und auf der Lauer liegen, wie lange sie Bücklinge vor anderen machen oder andere nötigen, dies vor ihnen zu tun, wieviel Zeit ihnen ihre eigenen oder fremde Bürgschaften wegnehmen, wie viel ihre Gelage, in denen sie ja längst schon ihren eigentlichen Beruf sehen, und du wirst begreifen, daß ihre eigenen Laster oder vermeintlichen Güter sie überhaupt nicht zu Atem kommen lassen.

Es herrscht schließlich allgemeine Übereinstimmung darüber, daß ein derartig in Beschlag genommener Mensch untauglich ist für irgendwelche ernstliche Beschäftigung, für das Studium der Beredsamkeit und der höheren Wissensfächer; denn sein zerstreuter Geist nimmt nichts tief in sich auf, sondern gibt alles, als wäre es eingezwängt, wieder von sich. Auf alles andere versteht sich ein so in Beschlag genommener Mensch besser, als auf die Kunst zu leben: es gibt keine Kunst, die schwerer zu erlernen wäre. Lehrmeister für andere Künste finden sich allenthalben und zwar in großer Zahl; in einigen dieser Künste zeigten sich sogar schon Knaben dermaßen bewandert, daß sie bereits als Lehrer auftreten könnten; aber leben zu lernen, dazu gehört das ganze Leben, und, was du vielleicht noch wunderbarer finden wirst, sein Leben lang muß man sterben lernen. Viele hervorragende Männer haben unter Beseitigung aller Hindernisse und unter Verzicht auf Reichtum, Amtstätigkeit und Vergnügungen bis in das höchste Alter all ihr Bemühen einzig darauf gerichtet, leben zu lernen. Doch ist die Mehrzahl derselben mit dem Geständnis aus dem Leben geschieden, noch hätten sie es nicht zu dieser Kenntnis gebracht. Wie sollten also jene anderen sich darauf verstehen! Es gehört, glaube mir, ein großer und über menschliches Irrsal erhabener Mann dazu, nichts von seiner Zeit umkommen zu lassen, und sein Leben ist aus dem Grunde das längste, weil es in seiner ganzen Ausdehnung ihm selbst zur Verfügung stand. Nichts davon hat brach und unbenutzt gelegen, nichts hing von der Verfügung eines anderen ab; hat er doch nichts gefunden, was wert gewesen wäre, es mit seiner Zeit zu vertauschen, deren sparsamster Hüter er war. Und darum reichte sie für ihn aus, während sie jenen notwendig gefehlt haben muß, deren Leben zum großen Teil den öffentlichen Aufgaben gewidmet war. Und kein Zweifel: es werden jene dereinst sich des Schadens bewußt werden, den sie sich zugezogen; gar viele wenigstens von denen, die die Last großen Glückes tragen, kann man mitten im Gedränge ihrer Klienten oder bei Ausübung ihrer Anwaltstätigkeit oder sonstiger armseliger Ehrenpflichten zuweilen ausrufen hören: »Es ist mir nicht vergönnt zu leben.« Warum sollte es nicht vergönnt sein? Alle jene, die deine Rechtshilfe in Anspruch nehmen, entziehen dich dir selbst. Jener Angeklagte, wie viele Tage hat er dir geraubt? Wie viele jener, der als Kandidat auftrat? Wie viele jenes alte Weib, das nicht genug Erben begraben kann? Wie viele jener, der sich krank stellte, um die Habsucht der Erbschleicher zu reizen? Wie viele jener an Macht euch überragende Freund, für den ihr nicht Freunde seid, sondern nur ein Mittel, mit euch zu prunken? Gehe sie alle durch, sage ich, und prüfe sie, die Tage deines Lebens, du wirst sehen: nur wenige, von anderen in Anspruch genommene Tage sind dir übriggeblieben. Wer es endlich zu den ersehnten Fasces (der Konsulatswürde) gebracht hat, wünscht sie wieder los zu sein und sagt einmal über das andere: »Wann wird dies Jahr zu Ende sein?« Ein anderer veranstaltet Spiele, die durch des Loses Entscheidung sich übertragen zu sehen er sich zu hoher Ehre angerechnet hatte; jetzt hört man ihn sagen: wann werde ich die Sache endlich los sein? Um einen anderen reißt man sich förmlich auf dem ganzen Forum, ihn zum Anwalt zu haben, und das Publikum drängt sich um ihn zusammen in einem Kreis, der weit über den Hörbereich hinausgeht: »Wann«, ruft er aus, »wird die Sache vertagt werden?« Es überstürzt ein jeder sein Leben, leidet an Sehnsucht nach der Zukunft und an Überdruß an der Gegenwart. Aber der, welcher keinen Augenblick vorübergehen läßt, ohne ihn zu seinem Heil zu verwenden, der jeden Tag so nützlich verwendet, als ob es der letzte wäre, erwartet den morgigen Tag weder mit Verlangen noch mit Furcht. Denn was für einen neuen Genuß könnte ihm denn irgend eine Stunde bringen? Alles ist ihm bekannt, alles gründlich durchgekostet. Was das übrige anlangt, so mag das Schicksal nach Belieben darüber entscheiden: sein Leben ist bereits in Sicherheit. Ein Zuwachs ist noch möglich, ein Abzug nicht, und mit dem Zuwachs steht es ähnlich wie bei einem bereits Gesättigten und Befriedigten, der noch einige Bissen dazu nimmt, nach denen er nicht verlangt, die er sich aber gefallen läßt. Die grauen Haare und die Runzeln geben dir also keinen hinlänglichen Grund zu glauben, es habe irgendeiner lange gelebt: nicht lange gelebt hat er, er ist nur lange dagewesen. Denn wie? Meinst du etwa, es habe einer eine weite Seefahrt gemacht, den gleich nach Auslaufen aus dem Hafen ein wütender Sturm erfaßte, ihn hierhin und dorthin schleuderte und durch das Rasen der umspringenden Winde auf der nämlichen Meeresfläche immer im Kreise herumtrieb? Keine weite Seefahrt hat er gemacht; er ist nur vielfach hin und hergeworfen worden.

8. Ich wundere mich oft, wenn ich sehe, daß man andere bittet, uns ihre Zeit zu widmen, und daß die darum Ersuchten sich so überaus gefällig erweisen. Beide lassen sich bestimmen durch die Rücksicht auf das, was die Bitte um Zeit veranlaßte, keiner von beiden durch die Rücksicht auf die Zeit selbst: man bittet um sie, als wäre sie nichts; man gewährt sie, als wäre sie nichts. Mit dem allerkostbarsten Besitz geht man um wie mit einem Spielzeug. Die Täuschung kommt daher, daß die Zeit etwas Unkörperliches ist und nicht mit den Augen wahrgenommen wird; daher die geringe Achtung, in der sie steht, ja ihre völlige Wertlosigkeit. Jahresgehälter und Geldzahlungen läßt man sich gern gefallen und vergilt sie durch seine Arbeit, seine Mühe, seinen Fleiß: die Zeit aber wird von niemand recht geschätzt; man vergeudet sie, als ob sie nichts wert wäre. Aber diese nämlichen Zeitverächter, betrachte sie nur, wenn sie krank sind, wenn die Todesgefahr näher rückt, wie sie die Kniee der Ärzte umfassen, und wie sie, wenn die Angst vor etwaiger Todesstrafe sie peinigt, bereit sind, all das Ihrige hinzugeben, um nur am Leben zu bleiben. So auffällige Widersprüche zeigen sich in ihren Seelenregungen. Könnte einem jeden die Zahl seiner künftigen Jahre ebenso genau vorgerechnet werden wie die vergangenen, wie würden diejenigen, die nur noch auf wenige Jahre Aussicht hätten, zittern, wie sparsam würden sie mit diesen wenigen umgehen! Und doch ist es leicht, etwas, dessen man ganz sicher ist, mag es auch noch so gering sein, richtig einzuteilen; weit größere Achtsamkeit erfordert die Behütung dessen, wovon man nicht weiß, wann es aufhöre. Gleichwohl darf man nicht glauben, sie wüßten überhaupt nicht, um was für eine kostbare Sache es sich handelt; pflegen sie doch zu denen, die ihrem Herzen am nächsten stehen, zu sagen, sie seien bereit, ihnen einen Teil ihrer Jahre zu schenken. Sie geben ohne rechtes Verständnis: was sie geben, ist für die Empfänger kein Gewinn, für sie selbst aber ein Verlust. Allein eben das, was dadurch herabgemindert wird, kennen sie nicht; sie empfinden den Schaden nicht, und darum ist ihnen der Verlust erträglich. Niemand wird dir die Jahre zurückbringen, niemand dich dir selbst wieder zurückgeben; deine Lebenszeit wird dem Anfang entsprechend dahingehen und ihren Lauf nicht rückgängig machen oder hemmen; sie wird sich nicht ungebärdig stellen, wird dich auf keine Weise an ihre Eile erinnern; ruhig wird sie dahinfließen; keines Königs Machtgebot, keine Volksgunst wird ihr zu einer Verlängerung verhelfen; ihrer anfänglichen Bestimmung gemäß wird sie ihren Lauf vollziehen, wird nirgends einkehren, nirgends verweilen. Worauf läuft's hinaus? Du bist immer mit Geschäften beladen, das Leben eilt; inzwischen wird der Tod sich einstellen, für den du Zeit haben mußt, du magst wollen oder nicht.

9. Kann es etwas geben, das zu mehr Mühsal führt als die Sinnesart der Menschen, derjenigen nämlich, die sich auf ihre Klugheit etwas zu gute tun? Sie belasten sich mit Geschäften, um besser leben zu können; auf Kosten des Lebens richten sie sich ihr Leben ein! Mit ihren Entwürfen greifen sie weit in die Zukunft. Ferner: der größte Verlust für das Leben ist die Verzögerung: sie entzieht uns immer gleich den ersten Tag, sie raubt uns die Gegenwart, während sie Fernliegendes in Aussicht stellt. Das größte Hemmnis des Lebens ist die Erwartung, die sich an das Morgen hängt und das Heute verloren gibt. Was in der Hand des Schicksals liegt, darüber verfügst du; was in der deinen liegt, das läßt du fahren. Wohin blickst du? Wonach streckst du die Arme aus? Alles, was da kommen soll, liegt im Ungewissen. Jetzt, auf der Stelle, erfasse das Leben! Auf! Es ruft dir der größte und wie von göttlichem Geist erfüllte Dichter den heilsamen Spruch zu:

Immer der beste der Tage im Leben der Menschen, der armen, fliehet zuerst.

Das will sagen: »Was zögerst du, was zauderst du? Wenn du ihn nicht fassest, flieht er davon! Und hast du ihn gefaßt, so wird er dennoch entfliehen. Darum gilt es, die Schnelligkeit der Zeit im Wettkampf zu überwinden durch schleunigste Ausnutzung: wie aus einem reißenden Gießbach, der nicht immer fließt, muß man eiligst schöpfen. Auch darin trifft es der Dichter mit seinem Tadel des endlosen Zögerns sehr glücklich, daß er nicht sagt »immer das beste Lebensalter«, sondern »der beste Tag«. Was reihst du sorglos und gelassen gegenüber der raschen Flucht der Zeiten Monate und Jahre dir in endloser Folge aneinander, wie es deine Unersättlichkeit für gut befindet? Vom Tage spricht der Dichter mit dir, von diesem eben entfliehenden Tage selbst. Ist es also etwa zweifelhaft, daß gerade der beste Tag den armen, mit anderen Worten, den mit Geschäften belasteten Menschen zuerst entflieht? Sie sind noch kindisch, wenn das Greisenalter sie überrascht, in das sie unvorbereitet und ungerüstet eintreten. Denn von Vorsorge war nicht die Rede: plötzlich und ahnungslos sind sie hineingetaumelt, ohne daß sie merkten, daß es täglich näher rückte. Wie Unterhaltung oder Lektüre oder irgend ein fesselnder Gedanke Reisende täuscht, so daß sie eher ihre Ankunft gewahr werden als ihre Annäherung, so werden sich die mit Geschäften Belasteten dieser unaufhaltsamen und rasch verlaufenden Lebensweise, die wir wachend und schlafend gleichen Schrittes fortsetzen, nicht eher bewußt, als bis sie am Ende sind.

10. Wollte ich meine Behauptung durch zergliedernde Beweisführung stützen, so würden sich reichlich Belege dafür finden, daß das Leben der mit Geschäften Belasteten sehr kurz sei. Fabianus, der nicht zu den Kathederlehrern gehörte, sondern zu den echten und alten Philosophen, pflegte zu sagen: »Gegen die Leidenschaften muß man in kräftigem Ansturm kämpfen, nicht mit bedächtiger Behutsamkeit; nicht mit unmerklichen Wunden, sondern in vollem Anlauf muß die Feindesschar zurückgewiesen werden; ein hänselndes Spiel taugt nichts, denn der Feind muß zerschmettert, nicht bloß gezupft werden.«

Indes, wenn man jenen Geschäftsmännern ihren Irrtum zu Gemüte führt, muß man sie belehren, nicht bloß beklagen. In drei Zeiten teilt sich das Leben: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Von ihnen ist die, in der wir stehen, kurz, die, welche uns bevorsteht, zweifelhaft, die wir hinter uns haben, gewiß, denn sie ist es, an welche das Schicksal sein Anrecht verloren hat und die keines Menschen Wille rückgängig machen kann. Diese Zeit ist für die Geschäftsmänner verloren; haben sie doch keine Zeit, in die Vergangenheit zurückzublicken, und findet sich einmal die Zeit, so ist die Erinnerung wenig angenehm, denn es handelt sich um eine bereuenswerte Sache. Nur mit Widerstreben lenken sie also ihre Aufmerksamkeit zurück auf Zeiten verfehlten Lebens und wagen nicht, das wieder anzurühren, dessen Verfehlungen, auch wenn sie durch einen gewissen augenblicklichen Lustreiz uns abgestohlen wurden, durch Wiederauffrischung nur um so sichtlicher werden. Niemand läßt sich gern wieder auf die Vergangenheit ein, außer dem, der alle seine Handlungen der strengsten und nie sich täuschenden Selbstprüfung unterwarf. Wer sich vielfach mit ehrgeizigen Plänen getragen, wer sich als stolzen Verächter, als übermütigen Sieger, als schlauen Betrüger, als habgierigen Räuber, als leichtsinnigen Verschwender erwiesen hat, der scheut notwendig den Rückblick auf seine eigene Vergangenheit. Und doch ist über diesen Teil unserer Zeit die Weihe des himmlischen Friedens gebreitet; ist er doch allen menschlichen Zufällen entrückt und der Herrschaft des Schicksals entzogen, gesichert vor Mangel, vor Furcht, vor Krankheitsanfällen; er kann nicht gestört, uns nicht entrissen werden; sein Besitz ist dauernd und frei von jedem Angstgefühl. Der Gegenwart gehört nur immer ein Tag um den anderen und auch dieser nur von Augenblick zu Augenblick; aber die Tage der Vergangenheit werden auf euer Geheiß sich euch sämtlich zur Verfügung stellen und sich nach eurem Belieben betrachten und festhalten lassen, wozu die Geschäftsmänner keine Zeit haben. Ein sorgenfreies und ruhiges Gemüt kann abwechselnd bald diesen, bald jenen Teil seines Lebens durchlaufen; die Seelen der Geschäftsmänner sind gleichsam durch ein Joch gehemmt, sie können sich nicht wenden und rückwärts schauen. So sinkt das Leben in den Abgrund, und du magst zuschütten, so viel du nur willst: es hilfst nichts, wenn kein Untergrund da ist, der es auffängt und festhält. So mögen dir die Lebensjahre auch noch so reichlich gewährt werden: wenn sie keinen festen Widerhalt haben, so finden sie durch die gelockerten und durchlöcherten Seelen ihren Ausweg. Die Gegenwart ist nur ganz kurz, so kurz, daß sie manchen wie ein Nichts erscheint; sie eilt immer weiter, fließt dahin und kommt nicht zur Ruhe; sie hört eher auf, als sie kam, und duldet ebensowenig einen Verzug wie das Weltall oder die Gestirne, deren rastlose Bewegung niemals auf demselben Punkte innehält. Nur die Gegenwart also gehört den Geschäftsmännern, sie, die so kurz ist, daß man sie nicht fassen kann, und selbst diese entzieht sich ihnen infolge des zerstreuenden Vielerlei ihrer Tätigkeit.

11. Willst du schließlich wissen, wie kurz ihre Lebenszeit ist? Nun, so sieh zu, auf wie lange Lebenszeit ihre Wünsche gerichtet sind. Hinfällige Greise betteln mit Gelübden um einen Zusatz von wenigen Jahren; sie stellen sich selbst als jünger hin, schmeicheln sich selbst mit der Lüge und betrügen sich selbst mit so freudigem Eifer, als ob sie damit zugleich auch dem Schicksal ein Schnippchen schlügen. Und wenn irgendwelcher Schwächeanfall sie an ihre Sterblichkeit mahnt, wie zittern sie da vor dem Tode, nicht, als träten sie aus dem Leben aus, sondern als würden sie mit Gewalt daraus entfernt. Toren seien sie gewesen, die kein wirkliches Leben geführt hätten - so jammern sie -, und wenn sie diese Krankheit überständen, dann wollten sie in Muße leben; dann werden sie sich klar darüber, daß sie sich blindlings mit Dingen abgegeben haben, die ihnen keinen Nutzen bringen, und daß ihr ganzes Tun und Treiben ein nichtiges war. Aber wer sein Leben fern von aller unfreien Geschäftigkeit führt, warum sollte es dem nicht hinreichend ausgedehnt sein? Nichts davon wird in den Dienst anderer gestellt, nichts dahin und dorthin verstreut, nichts davon dem Schicksal anheimgegeben, nichts geht durch Nachlässigkeit verloren, nichts wird durch Geschenke in Abzug gebracht, nichts ist überflüssig: es verzinst sich sozusagen vollständig. Sei es also auch noch so kurz, es reicht doch reichlich aus, und darum wird der Weise, wann auch immer der letzte Tag kommt, nicht zögern, festen Schrittes in den Tod zu gehen.

12. Vielleicht fragst du, was ich eigentlich unter Geschäftsmännern verstehe? Glaube nicht, daß ich damit bloß die meine, die sich erst ganz zuletzt durch die auf sie gehetzten Hunde aus der Gerichtshalle verscheuchen lassen, und die du entweder inmitten einer großen Anhängerschar in eindrucksvollerer, oder, von den Gegnern gefolgt, in minder glänzender Weise sich entfernen siehst, oder bloß die, die ihre Dienstbeflissenheit ihrer Behausung entführt, um an fremden Türen anzuklopfen, oder die, die sich abplagen mit dem staatlichen Versteigerungsgeschäft, das ihnen schandbaren und mitunter für sie verhängnisvollen Gewinn in Aussicht stellt. Gibt es doch auch Leute, die in einer mit Geschäften beladenen Muße leben. Auf ihrem Landgut oder ihrem Ruhebett, mitten in der Einsamkeit, werden sie sich selbst zur Last, obschon sie sich von aller öffentlichen Tätigkeit zurückgezogen haben. Ihr Leben kann man kein der Muße geweihtes nennen; es ist vielmehr nur ein geschäftiger Müßiggang. Nennst du den einen geschäftsfreien, der Muße pflegenden Mann, der seine korinthischen Vasen, diese durch den Wahnsinn der wenigen Liebhaber im Preise so hoch hinangetriebenen Schaustücke, mit peinlichster Sorgfalt instand hält und seine meiste Zeit auf die verrosteten Metallblättchen verwendet? der auf dem Ringplatz (denn, Schande über Schande! dieser Unfug, an dem wir leiden, ist nicht römischen Ursprungs) als Zuschauer ringender Knaben seinen Sitz einnimmt? der die Herden seiner Zugtiere nach Alter und Farbe in Paare einteilt? der sich die Athleten neuester Mode hält? Wie? Nennst du der Muße ergeben die, welche stundenlang in der Barbier- und Friseurstube zubringen, wo sie sich den Bartwuchs der letzten Nacht abnehmen lassen, wo über jedes Härchen Rat gehalten, wo jede Verschiebung des Haares ausgeglichen oder bloßgelegte kahle Stellen durch Streichen der Haare nach vorn zu wieder zugedeckt werden? Wie brausen sie gereizt auf, wenn der Barbier sich etwas gehenläßt in dem Wahn, es sei ein Mann, den er unter der Schere habe! Wie entrüstet sind sie, wenn ein Büschelchen aus ihrer Mähne aus Versehen abgeschnitten ist, wenn die Anordnung auch nur das Geringste vermissen läßt, wenn nicht alles in Ringeln fällt, wie sich's gehört! Gibt es unter diesen Müßiggängern auch nur einen, der nicht lieber den Staat in Unordnung sähe als sein Haupthaar? der sich nicht mehr Sorge machte um das tadellose Aussehen seines Kopfes als um dessen rechte innere Beschaffenheit? der nicht lieber modisch aufgeputzt als brav und tüchtig sein möchte? Diese Leute nennst du der Muße ergeben, deren ganze Tätigkeit zwischen Kamm und Spiegel geteilt ist? Wie steht es mit denen, deren Tätigkeit im Anfertigen, im Auswendiglernen von Liederchen besteht, wobei sie der Stimme, deren natürlicher Gang bei aller Einfachheit so eindrucksvoll schön ist, die gewundensten Modulationen zumuten? deren Finger den Takt zu irgendeinem Liede abmessend immer gleichsam einen Klang von sich geben, und die, wenn sie zu ernsten, nicht selten auch zu traurigen Dingen zugezogen werden, die Beratung immer mit einer leisen Melodie begleiten? Was sie haben, ist nicht Muße, sondern geschäftiger Müßiggang.

Bei solchen Leuten möchte ich wahrhaftig selbst ihre Gastmähler nicht als freie Zeiten gelten lassen, angesichts der peinlichen Sorgfalt, mit der sie ihr Silber ordnen, angesichts der Genauigkeit, mit der sie das Untergewand ihrer Lotterbuben aufschürzen, angesichts auch der Spannung, mit der sie darauf achten, wie der Wildschweinbraten dem Koch geraten ist, wie rasch die Kastraten auf das gegebene Zeichen auf ihren Posten eilen, mit welcher Kunst das Geflügel in nicht zu große Stücke zerlegt wird, wie aufmerksam die bedauernswerten Buben den Auswurf der Betrunkenen abwischen. Damit setzen sie sich in den Ruf feiner und gehobener Lebensart, und ihre Untugenden folgen ihnen in ihre geheimsten Lebenslagen, so daß sie wedertrinken noch essen, ohne ihrem Ehrgeiz zu fröhnen.

Auch die möchte ich nicht unter die der Muße Ergebenen zählen, die sich in Tragsesseln oder Sänften nach dieser oder jener Stelle hinbefördern lassen und die Stunde zu ihrer Spaziertour kaum erwarten können, als wäre jede Abweichung verpönt; diese Leute, die eines anderen bedürfen, um sich mahnen zu lassen, wann sie sich baden sollen, wann schwimmen, wann speisen. Der Verfall ihrer geistigen Kraft infolge dieser alles Maß übersteigenden Verweichlichung geht also soweit, daß sie durch sich selbst nicht wissen können, ob sie hungrig sind! Ich weiß von einem dieser Lüstlinge - wenn noch von Lust die Rede sein kann bei einem, der verlernt, was die tägliche Gewohnheit für den Menschen mit sich bringt - daß er, als er auf Händen aus dem Bad getragen und auf den Tragsessel gesetzt worden war, die Frage tat: »Sitze ich auch schon?« Dieser Mensch, der nicht wußte, ob er sitze, glaubst du, daß er wisse, ob er lebe, ob er sehe, ob er der Muße ergeben sei? Es ist nicht leicht zu sagen, was man mehr bedauern müßte: ob er das nicht gewußt hat, oder ob er sich nur stellte, als wisse er es nicht. Oft liegt bei solchen Leuten wirkliche Vergeßlichkeit vor; oft aber ist es auch nur Nachäfferei. Gewisse Untugenden machen ihnen Vergnügen als eine Art Beweis ihres Glückes. Es scheint ihnen gar zu platt und verächtlich, wenn ein Mensch weiß, was er tue. Lasse man sich nicht weismachen, die Mimen wären es, die durch ihre trügerischen Übertreibungen die Genußsucht verächtlich machten! Nein, wahrlich, sie übergehen mehr, als sie in ihrer Darstellung vorbringen, und die Menge unglaublicher Laster hat sich in diesem Jahrhundert, das nur nach diesem einzigen Ziel hin erfinderisch ist, dermaßen gesteigert, daß wir den Mimen bereits vorwerfen können, sie gingen hierin nicht weit genug. Wie? Sollte es wirklich einen geben, der dermaßen in Genußsucht erstickt ist, daß er erst einem anderen glaubt, er sitze wirklich? Er ist mitnichten ein der Muße Ergebener; er verdient einen anderen Namen: krank ist er, oder vielmehr so gut wie tot; wer der Muße ergeben ist, der hat auch noch Gefühl für seine Muße. Dieser Halblebende aber, der eines anzeigenden Gehilfen bedarf zur Erkenntnis seiner eigenen körperlichen Zustände, wie kann der irgendwie Herr sein über seine eigene Zeit?

13. Es wäre reine Zeitverschwendung, wollte ich im einzelnen die ganze Reihe derer aufführen, die ihr Leben vertan haben im Brettspiel oder Würfelspiel, oder mit der Sorge, ihren Körper von der Sonne durchkochen zu lassen. Die sind nicht der Muße ergeben, deren Vergnügungen viele Vorbereitungen nötig machen. Denn was die betrifft, die sich unfruchtbaren literarischen Studien hingeben, so herrscht wohl kein Zweifel, daß dies nur geschäftiges Nichtstun ist; die Schar dieser Leute ist auch bei den Römern schon ziemlich groß. Es war ein krankhaftes Bestreben der Griechen, zu untersuchen, wie viele Ruderknechte Ulixes gehabt habe, was früher abgefaßt sei, die Illias oder die Odyssee, überdies, ob der Verfasser beider der nämliche sei, und noch manches andere dieser Art, das, wenn man es bei sich behält, als stiller geistiger Besitz uns nichts hilft, oder, wenn man es veröffentlicht, uns mehr lästig als gelehrt erscheinen läßt. Ein Jammer, daß auch die Römer die eitle Sucht ergriffen hat, sich mit überflüssigem Lernstoff zu belasten. Dieser Tage erst hörte ich einen Vortrag über das Thema: »Was haben einzelne römische Heerführer zuerst Neues eingeführt?« Duilius war der erste, der in einer Seeschlacht siegte, Curius Dentatus der erste, der Elefanten im Triumph aufführte. Diese Mitteilungen besagen zwar nichts für den Ruhm; immerhin aber bieten sie doch Beispiele von Leistungen unserer Mitbürger: Nutzen darf man sich von solchem Wissen nicht versprechen; doch fesselt uns der Glanz dieser an sich nichtigen Dinge. Auch die Forschung darüber wollen wir gern gelten lassen, wer die Römer zuerst dazu vermocht hat, ein Schiff zu besteigen - das war Claudius, der eben deshalb Caudex genannt wurde, weil ein Gefüge mehrerer Bretter bei den Alten caudex (d.i. Baumstamm) genannt ward, woher denn die öffentlichen Gesetzestafeln ›codices‹ heißen, wie denn auch jetzt noch nach alter Gewohnheit die Schiffe, die auf dem Tiber die Zufuhr heranschaffen, codicariae genannt werden -; wohl mag auch das beachtenswert sein, daß Valerius Corvinus zuerst Messana bezwang und als erster in der Familie der Valerier durch Übertragung des Namens der bezwungenen Stadt auf ihn Messana genannt ward, ein Name, der sich allmählich im Volksmunde zu Messala umänderte. Aber soll auch das ein zulässiger Gegenstand der Untersuchung sein, daß L. Sulla zuerst im Zirkus Löwen, die man sonst nur gefesselt zu sehen bekam, frei umherspringen ließ, weil König Bocchus Wurfschützen gesandt hatte, sie zu erlegen? Immerhin mag auch dies verzeihlich sein. Aber läßt sich auch nur eine Spur von Entschuldigung dafür finden, daß Pompejus zuerst achtzehn Elefanten im Zirkus erscheinen ließ, denen unschuldige Menschen als Kampfesgegner preisgegeben wurden? Er, der erste Mann im Staate und unter den alten Größen, wie die Überlieferung besagt, durch besondere Güte ausgezeichnet, hielt es für eine denkwürdige Art von Schauspiel, Menschen der Vernichtung preiszugeben auf eine Art, wie sie noch nie dagewesen. »Sie ringen mit Einsetzen aller Kraft? Das genügt nicht. Sie werden zerfleischt? Das genügt nicht. Unter der Wucht gewaltiger Bestien sollen sie ihr Leben aushauchen.« Besser wäre es gewesen, die Sache der Vergessenheit anheimzugeben, damit nicht weiterhin einer der Mächtigen bei ihm in die Lehre ginge, indem er dies Beispiel an Unmenschlichkeit nachahmenswert fände! Ach! mit welcher Finsternis schlägt großes Glück des Menschen Geist! Er, Pompejus, hielt sich damals für ein Wesen höherer Art, als er eine solche Masse unglücklicher Menschen den einem anderen Himmelsstrich angehörenden Tierungeheuern preisgab, als er so ungleichartige Geschöpfe zum Kampf gegeneinander hetzte, als er das römische Volk zum Augenzeugen so vielen Blutvergießens machte, um es bald darauf zu zwingen, selbst noch mehr zu vergießen. Doch weiterhin mußte er sich, ein Opfer des Alexandrinischen Treubruchs, durch das Schwert eines elenden Sklaven umbringen lassen, jetzt endlich zu der Einsicht gelangt, welch eitles Spiel er mit seinem Beinamen (der Große) getrieben.

Doch ich kehre nun, nach dieser Unterbrechung, zu meinem eigentlichen Vorhaben zurück; es gilt, nach der nämlichen Seite hin den Forschungseifer gewisser Leute als entbehrlich zu kennzeichnen. In seinem Vortrag erzählte jener Gelehrte, Metellus, der Sieger über die Punier in Sizilien, sei der einzige unter allen Römern gewesen, der hundertundzwanzig Elefanten bei seinem Triumphe vor seinem Wagen habe herziehen lassen; Sulla sei der letzte unter den Römern gewesen, der den freien Raum längs der Stadtmauer hin (pomerium) erweitert habe, ein Verfahren, das in früheren Zeiten niemals bei Zuwachs einer Provinz, sondern nur nach Erwerb italischen Bodens statthatte. Diese Kenntnis ist immerhin noch wichtiger als die, daß der Aventinhügel außerhalb des Pomeriums liege, wie jener versicherte, und zwar aus einem von zwei Gründen, entweder weil die Plebs (die niedere Volksmasse) vor Zeiten dahin ausgezogen war, oder weil bei des Remus Auspizien die Vögel ihre Beistimmung nicht kundgegeben hätten. Dazu noch unzählige andere Dinge, die entweder rein erlogen oder einer Lüge ähnlich sind. Denn gesetzt auch, sie berichtete alles in gutem Glauben, ja sie verbürgten sich für die Wahrheit, wem werden sie zur Abkehr von seinen Verkehrtheiten verhelfen? Wessen begehrliche Leidenschaften werden sie bändigen? Wen werden sie tapferer, wen gerechter, wen edler machen? Unser Fabianus pflegte zuweilen zu fragen, ob es nicht besser wäre, sich überhaupt nicht auf Studien einzulassen, als sich in dieses Gestrüpp zu begeben.

14. Der Muße wirklich ergeben sind überhaupt nur die, die ihre Zeit der Weisheit widmen; denn sie allein führen ein wirkliches Leben; sind sie doch nicht nur gewissenhafte Hüter ihrer eigenen Lebenszeit, sondern fügen auch den gesamten Zeitverlauf ihrem Leben hinzu; alles Schaffen vorvergangener Jahre ist ein Erwerb auch für sie. Wir müßten denn ganz undankbar sein, oder jene hochberühmten Pfadfinder heiliger Weisheit sind für uns geboren, haben uns den Weg zum Leben gewiesen. Zu den herrlichsten Schätzen, die durch die Bemühungen anderer aus der Finsternis ans Licht gezogen sind, werden wir geführt; kein Zeitalter ist uns verschlossen, zu allen haben wir Zutritt, und wenn wir im Geistesflug uns über die Schranken menschlicher Schwachheit erheben wollen, so öffnen sich uns lange Zeiträume, die wir durchwandern können. Wir können mit Sokrates Zwiesprache führen, können mit Carneades zweifeln, mit Epikur der Ruhe pflegen, mit den Stoikern die menschliche Natur überwinden, mit den Zynikern über sie hinausgehen. Da die Natur uns mit jedem Zeitalter in Gemeinschaft treten läßt, warum sollten wir uns nicht von dieser beschränkten und hinfälligen Vergänglichkeit mit ganzer Seele zu dem erheben, was unendlich, was ewig ist, was wir mit edleren Wesen gemein haben? Jene, die dienstbeflissen bald dahin bald dorthin eilen, die sich und anderen keine Ruhe lassen, wie steht es mit ihnen? Wenn sie an Tollheit das Menschenmögliche geleistet, wenn sie täglich an aller Türschwellen sich eingestellt und an keiner offenen Tür vorübergegangen sind, wenn sie in den verschiedensten Häusern ihre bezahlte Aufwartung gemacht haben, wie gering wird die Zahl derer sein, die sie in der unermeßlichen und durch die mannigfachsten Leidenschaften in Atem gehaltenen Stadt überhaupt nur zu sehen bekommen! Wie groß wird die Zahl derer sein, die ihnen den Eintritt verweigern, sei es, weil sie noch schlafen oder schwelgen oder kein menschliches Rühren fühlen! Wie groß auch die Zahl derer, die, nachdem sie sie lange mit Warten gequält haben, vorgeblich dringender Geschäfte wegen sie stehen lassen und forteilen. Wie viele werden es vermeiden, den mit Klienten dicht besetzten Vorraum zum Ausgehen zu benutzen, und durch verborgene Nebenausgänge ins Freie entweichen, als ob es nicht beleidigender wäre, die Menschen zu täuschen als abzuweisen. Viele dieser Besuchsempfänger, noch schlaftrunken vom gestrigen Rausche und dunstigen Kopfes, wie werden sie diesen Fehlgängern, die den eigenen Schlaf unterbrechen, um geduldig den anderer abzuwarten, die Begrüßung erwidern? Sie werden den ihnen tausendmal leise zugeflüsterten Namen verächtlich gähnend wiederholen. Dagegen können wir denen wahre Pflichttreue nachrühmen, die Tag für Tag den Zeno, den Pythagoras und den Demokrit sowie die übrigen Wegweiser in den höheren Wissensgebieten, ferner den Aristoteles und Theophrast zu ihren vertrautesten Freunden haben wollen. Keiner von ihnen wird sich ihnen versagen; keiner wird den zu ihm Kommenden entlassen, ohne ihn glücklicher und zu seinem wärmeren Freund gemacht zu haben; keiner wird irgend einen mit leeren Händen von sich weggehen lassen, gleichviel ob des Nachts oder am Tage - jedermann kann sie immer besuchen.

15. Von ihnen wird keiner dich zu sterben zwingen, aber alle werden es dich lehren; von ihnen wird keiner dir deine Jahre zunichte machen, wohl aber die seinigen dir zugute kommen lassen. Von einer Unterhaltung mit ihnen brauchst du keine Gefahr zu befürchten; ihre Freundschaft ist nicht bedrohlich für dein Leben; die schuldige Aufmerksamkeit gegen sie verursacht dir keine Kosten. Was du willst, werden sie dir gewähren; sie werden alles tun, dir zur möglichst vollständigen Erlangung dessen zu verhelfen, was du einmal in Angriff genommen hast. Welches Glück, ein wie herrliches Alter erwartet den, der sich unter ihren Schutz gestellt hat! Mit ihnen kann er sich über die unbedeutendsten ebensowohl wie über die wichtigsten Dinge verständigen; sie kann er täglich zu Rate ziehen; von ihnen kann er die Wahrheit hören ohne jede Demütigung, Lob erhalten ohne Schmeichelei; nach ihrem Vorbild kann er sich selbst heranbilden. Wir pflegen zu sagen, die Wahl unserer Eltern stehe nicht in unserer Macht, der Zufall sei es, der sie den Menschen gebe. Nein! Die Verfügung über unser Dasein liegt in unserer eigenen Hand. Es gibt Familien der edelsten Geister: wähle, in welche du dich aufgenommen sehen willst; nicht etwa der Name nur wird auf dich übertragen werden, sondern all das Gute selbst, was ihnen gehört, und das will nicht mit schmutzigem Eigennutz behütet sein, nein, es wird sich um so stärker vermehren, je größer die Zahl derer ist, die du daran teilnehmen läßt. Sie werden dir den Weg zur Ewigkeit weisen und dich emporheben zu jener Stelle, aus der niemand verdrängt werden kann. Das ist die einzige Möglichkeit, die Grenzen der Sterblichkeit zu erweitern, ja sie in Unsterblichkeit umzuwandeln. - Ehrungen, Denkmale, alles, was dem Ehrgeiz huldigt, sei es in öffentlichen Anerkennungen, sei es in großartigen Werken der Kunst, ist raschem Verfalle preisgegeben; alles zerstört der Zahn der Zeit und läßt nichts unberührt. Aber dem, worauf die Weisheit ihr Siegel gedrückt hat, kann die Zeit nichts anhaben. Keine Flucht der Jahre wird es vertilgen, keine es mindern; jedes folgende und daran sich weiter anschließende Zeitalter wird zu seiner ehrfürchtigen Schätzung beitragen; denn was in der Nähe liegt, das ist dem Neide ausgesetzt; was in der Ferne liegt, das bewundern wir in voller Unbefangenheit. Das Leben des Weisen hat also einen weiten Spielraum; er sieht sich nicht eingeschlossen in die engeren Grenzen der übrigen Menschen, er erhebt sich über die dem Menschengeschlecht gesetzten Schranken, er macht sich alle Jahrhunderte dienstbar gleich einem Gott. Laß eine Zeit vorüber sein: er umspannt sie mit seiner Erinnerung; laß sie gegenwärtig sein: er nutzt sie aus; laß sie zukünftig sein: er macht sie im voraus sich zu eigen. Die Zusammenfassung aller Zeiten macht ihm das Leben lang.

16. Dagegen ist das Leben derer sehr kurz und sorgenvoll, die das Vergangene vergessen, die Gegenwart verträumen und vor der Zukunft Angst haben; sind sie ans Ende gekommen, so sehen sie, diese Bedauernswerten, zu spät ein, daß sie so lange beschäftigt gewesen sind, ohne doch etwas zu tun. Und man halte es nicht für einen Beweis langen Lebens, wenn sie mitunter den Tod herbeirufen; es ist ihr Unverstand, der sie mit launenhaften Neigungen und Stimmungen peinigt, die gerade auf das zuführen, was sie fürchten: sie wünschen sich den Tod oft eben deshalb, weil sie ihn fürchten. Auch darin darf man keinen Beweis sehen wollen für ihr langes Leben, daß ihnen oft der Tag lang wird und daß sie namentlich über langsamen Stundengang klagen, bis die festgesetzte Mittagszeit eintritt; denn nehmen die Geschäfte sie nicht mehr in Anspruch und sind sie auf die Muße angewiesen, so geraten sie in einen ganz haltlosen Zustand und wissen nicht, wie sie darüber verfügen oder wie sie es damit zu Ende bringen sollen; daher suchen sie nach irgendwelcher Beschäftigung, und die ganze Zwischenzeit ist ihnen eine wahre Last, ganz ähnlich der Stimmung vor einem, auf einen bestimmten Tag angekündigten Gladiatorenspiel oder sonstigen Schauspiel oder Vergnügen: sie möchten über die dazwischen liegenden Tage am liebsten mit einem Sprunge hinübersein. Haben sie Sehnsucht nach irgend etwas, so wird ihnen jeder Aufschub zu lang; die Zeit dagegen, für die sie schwärmen, ist kurz, enteilt rasch und wird noch viel kürzer durch ihre eigene Schuld; denn sie flattern von einem zum anderen, und ihre Begehrlichkeit richtet sich nicht bloß auf einen Gegenstand. Nicht lang sind ihnen die Tage, sondern verhaßt; wie kurz dagegen erscheinen ihnen die Nächte, die sie in den Armen ihrer Dirnen oder beim Weine hinbringen. Daher auch der Wahnwitz der Dichter, die durch ihre Phantastereien die menschlichen Verirrungen nähren. Soll doch nach ihnen Jupiter, ganz hingerissen von der Lust am Beischlaf, die Nacht verdoppelt haben. Was heißt das anders, als unsere Laster zur Flamme entfachen, wenn man die Götter als Anstifter dafür hinstellt; was heißt es anders, als der Krankheit freien Lauf lassen unter Berufung auf das göttliche Vorbild? Müssen ihnen die Nächte nicht sehr kurz vorkommen, die sie so teuer erkaufen? Die Tage verlottern sie in Erwartung der Nacht, die Nacht in der Furcht vor dem Tage.

17. Ihre Genüsse selbst sind angsterfüllt und durch manche Schrecknisse beunruhigt, und gerade, wenn sie vor Lust sich nicht zu lassen wissen, beschleicht sie die unheimliche Besorgnis: »Wie lange wird es dauern?« Diese Stimmung hat Königen Tränen entlockt, und statt daß die Größe ihres Glückes für sie eine Quelle der Freude gewesen wäre, hat der Gedanke an das einst kommende Ende sie mit Schrecken erfüllt. Als der übermütige Perserkönig sein Heer in den weitgedehnten Gefilden sich zur Heerschau gruppieren ließ und nicht nach der Zahl, sondern nach dem Umfang das Ganze abmaß, vergoß er Tränen, daß in hundert Jahren von dieser ganzen jugendkräftigen Masse kein einziger mehr am Leben sein werde. Aber er selbst, der Weinende, war es, der im Begriff stand, sie dem Schicksal preiszugeben und die einen im Meere, die anderen zu Lande, die einen in der Schlacht, die anderen auf der Flucht umkommen zu lassen und sie, für die er seine Furcht auf hundert Jahre abmaß, innerhalb kurzer Zeit aufzureiben.

Und wie kommt's, daß auch ihre Freuden mit Angst gemischt sind? Es ruhen diese eben auf keinem festen Grunde, und dieselbe Nichtigkeit, der sie entstammen, stört sie auch in ihrem Bestand. Wie muß es aber wohl bei ihnen mit den Zeiten stehen, die nach ihrem eigenen Bekenntnis trübselig sind, da auch schon die gehobenen Stunden, in denen sie sich über das menschliche Los erhaben dünken, nicht frei von Schatten sind? Je größer das Gute ist, um so sorgenvoller ist es, und für keine Schicksalslage ist es weniger ratsam, Vertrauen zu hegen, als für die glücklichste. Um die Glückseligkeit zu schützen, bedarf es einer weiteren Glückseligkeit, und für die erfüllten Wünsche bedarf es neuer Wünsche. Denn alles, was wir dem Zufall verdanken, ist ohne Bestand, und je ansehnlicher die Höhe ist, zu der es sich erhebt, um so mehr neigt es zum Untergang. Nun aber hat niemand Freude an dem, was zu fallen droht. Nicht nur sehr kurz also, sondern auch höchst beklagenswert muß das Leben derer sein, die mit schwerer Anstrengung erwerben, was zu besitzen und zu behüten ihnen noch schwerere Mühe macht. Mühsam erringen sie, was sie wünschen; angstvoll halten sie fest, was sie errungen haben. Dabei lassen sie die nimmer wiederkehrende Zeit achtlos dahinschwinden. Neue Beschäftigungen lösen die alten ab, eine Hoffnung erweckt die andere, ein Ziel des Ehrgeizes wechselt mit dem anderen. Nicht dem Elend ein Ende zu machen ist man bestrebt, man sucht nur immer neue Anlässe dazu. Unsere Ehrenämter sind uns zur Qual geworden: noch mehr Zeit rauben uns die Ehrenämter anderer. Die Zeit liegt nun glücklich hinter uns, in der wir uns als Bewerber abmühten; was folgt nun? Es hebt die nicht weniger mühevolle Zeit an, in der wir als Empfehlende auftreten. Das beschwerliche Anklägergeschäft haben wir aufgegeben: dafür übernehmen wir nun das nicht minder beschwerliche Richteramt. Vom Richteramt hat man sich losgemacht: dafür ist man nun Untersuchungsleiter. Man ist grau geworden als bezahlter Verwalter der Güter anderer: der eigene Reichtum läßt einen nun nicht zur Ruhe kommen. Marius hat dem Kriegsdienst entsagt: nun quält ihn die Last des Konsulates. Quintius Cincinnatus möchte so rasch als möglich die Diktatur wieder los werden: nur zu bald wird man ihn von seinem Pfluge dazu abermals wieder abholen. Gegen die Punier wird, fast noch zu jung für ein so gewaltiges Unternehmen, Scipio zu Felde ziehen; er, der Überwinder Hannibals, der Überwinder des Antiochus, die Zierde seines eigenen Konsulates, der Bürge für das seines Bruders, würde seine Statue neben der des Jupiter aufgestellt gesehen haben, wenn er nicht Einspruch erhoben hätte: aber unseliger Bürgerzwist wird ihm, dem Retter, viel zu schaffen machen, und nachdem der Jüngling Ehren, die ihn den Göttern gleich machen, verschmäht hat, wird er als Greis stolz darauf sein, das Exil zu ertrotzen. Nie wird es an Anlässen zur Sorge fehlen, handle es sich um Glück oder um Unglück; das Leben wird ganz im lästigen Drang der Geschäfte dahinschwinden: zur Muße wird es niemals kommen, es wird beim ewigen Wunsche bleiben.

18. Also, mein lieber Paulinus, halte es nicht mit dem großen Haufen; ziehe dich endlich zurück in den stillen Hafen; du hast dich länger von den Wogen schütteln lassen, als es mit deinen hohen Jahren im Verhältnis steht. Denke, wie oft du mit den Fluten gerungen, wie viele Stürme du teils im Privatleben bestanden teils im öffentlichen Leben über dich hast hereinbrechen sehen. Zur Genüge hat sich deine Tüchtigkeit in mühevollem und ruhelosem Ringen erprobt. Laß nun die Muße das Versuchsfeld sein für ihre Leistungsfähigkeit! Der größere Teil deiner Lebenszeit, wenigstens der bessere, mag dem Staate gewidmet gewesen sein; etwas von der dir gegönnten Zeit nimm auch für dich in Anspruch. Es ist keine träge und untätige Ruhe, zu der ich dich einlade. Du sollst den Schwung deiner lebhaften Geisteskraft nicht untergehen lassen in Schlaf und Lustbarkeiten, wie sie der große Haufe liebt: das heißt nicht der Ruhe pflegen. Du wirst Aufgaben finden, größer als alle Leistungen, die du bisher in strenger Pflichttreue vollzogen hast, Aufgaben, an deren Lösung du in sorgenloser Ruhe arbeiten kannst. Du regelst zwar die Finanzen des Reiches so uneigennützig, als gehörte dir nichts davon, so sorgfältig wie deine eigenen, so gewissenhaft, wie es das öffentliche Interesse erfordert. In einer amtlichen Tätigkeit, in der es schwer ist, dem Haß zu entgehen, erwirbst du dir Liebe; aber gleichwohl, glaube mir, ist es besser, mit dem Stande der Lebensrechnung vertraut zu sein als mit dem der staatlichen Getreiderechnungen. Deine frische Geisteskraft, die der größten Leistungen fähig ist, laß nun Abstand nehmen von dem zwar ehrenvollen, aber zu einem glücklichen Leben weitaus nicht ausreichenden Staatsdienst. Bedenke: du hast bei deiner, schon in so früher Jugend begonnenen Beschäftigung mit den Wissenschaften dir doch nicht das Ziel gesetzt, dir viele tausend Scheffel Getreide zu gewissenhafter Verwaltung anvertraut zu sehen: man durfte von dir etwas Größeres und Höheres erwarten. An Männern von haushälterischer Tüchtigkeit und unermüdlicher Arbeitsamkeit wird es nicht fehlen. Sind doch langsame Zugtiere weit geeigneter schwere Lasten zu schleppen als edle Rosse, deren stolze Regsamkeit wohl schwerlich je einer durch schwere Belastung gehemmt hat.

Bedenke ferner, mit welchen Sorgen du dich belädst, wenn du dich auch weiterhin zu diesem erdrückenden Dienste hergibst! Mit dem Magen der Leute hast du es zu tun. Hungert das Volk, so nimmt es keine Vernunft an, läßt sich durch keine Billigkeit beruhigen, ist jeder Bitte unzugänglich. Ganz vor kurzem erst in jenen Tagen, da C. Caesar (Caligula) umgebracht ward - der, wenn die Toten noch irgendwelche Empfindung haben, sich über nichts mehr ärgert als darüber, daß er wußte, das ihn überlebende römische Volk habe nur noch für sieben, höchstens acht Tage Lebensmittel -, stellte sich, während er Schiffbrücken schlug und mit den Machtmitteln des Staates ein freventliches Spiel trieb, das auch für Belagerte entsetzlichste Übel ein: Mangel an Lebensmitteln; es fehlte nicht viel, so hätte die Nachäfferei des tollen ausländischen und zu seinem eigenen Verderben übermütigen Königs (Xerxes) zum Untergang und zur Hungersnot und deren unausbleiblicher Folge, dem allgemeinen Zusammenbruch, geführt. Wie mußte es damals den Männern zumute sein, die mit der Verwaltung der Getreidespeicher betraut waren! Mußten sie nicht gefaßt sein auf Steinwürfe, auf Schwert, auf Feuerbrände, auf Gaius (Caligula)? Mit höchster Verstellungskunst verbargen sie das im tiefsten Innern zurückgehaltene schwere Geheimnis, dabei natürlich aber mit gutem Grunde; denn manches muß man heilen, ohne die Kranken es wissen zu lassen: ist doch für so manchen gerade die Kenntnis seiner Krankheit die Ursache seines Todes geworden.

19. Suche deine Zuflucht nun bei dem, was ruhiger, was sicherer, was erhabener ist! Wenn du es deine Sorge sein läßt, das Getreide unbeeinträchtigt durch Betrug oder Nachlässigkeit der Geleitenden in die Speicher zu bringen, wenn du es vor verderblicher Feuchtigkeit und daraus entstehender Hitze bewahrst, wenn du streng auf richtiges Maß und Gewicht hältst, kannst du das etwa gleichstellen der Beschäftigung mit den heiligen und erhabenen Aufgaben wissenschaftlicher Forschung, wo es gilt, Fragen zu lösen wie diese: Wie steht es in bezug auf die Gottheit mit ihrem Stoff, mit ihrer Lust, mit ihrem Zustand, mit ihrer Gestalt? Welches Schicksal steht deiner Seele bevor? Welchen Platz wird uns die Natur nach dem Abscheiden aus dem Körper anweisen? Was ist es, was gerade die schwersten Bestandteile der Welt an die Mitte gefesselt hält, während es das Leichte nach oben schweben läßt, zuoberst das Feuer stellt und den Gestirnen den Trieb zu ihren wechselnden Stellungen gibt? Und wie steht's mit den übrigen zahllosen Wundern der Welt? Ach, wolltest du doch, den Boden hinter dir lassend, dein geistiges Auge auf jene Dinge richten! Jetzt, solange das Blut noch warm ist, bei frischer Lebenskraft muß man sich dem Dienste des Höheren weihen. Machst du dies zu deinem Beruf, dann darfst du rechnen auf eine Fülle von herrlichen Kenntnissen, auf Liebe zur Tugend und auf ihre Betätigung, auf gründliche Verabschiedung aller Leidenschaften, auf sichere Kunde über Leben und Sterben, auf tiefe Seelenruhe.

Alle Geschäftsleute sind in einer beklagenswerten Lage; am beklagenswertesten aber ist die Lage derjenigen, die sich nicht einmal mit Geschäften für sich selbst abarbeiten: ihr Schlaf richtet sich nach dem Schlaf anderer, ihre Schrittführung nach dem Schritte anderer, ja, selbst in ihrem Lieben und Hassen, diesen freiesten aller Seelenregungen, sind sie ganz an den Befehl eines anderen gebunden. Wollen diese Leute wissen, wie kurz ihr Leben sei, so mögen sie nur daran denken, welch winziger Teil davon ihnen selbst gehört.

20. Siehst du also, daß sie schon oft das Ehrengewand hoher Beamten getragen haben, daß ihr Name auf dem Forum gefeiert ist, so laß jeden Neid fahren; ein Stück eigenen Lebens muß man drangeben, um dergleichen zu gewinnen. Um ein Jahr nach sich genannt zu sehen, müssen sie alle ihre Jahre drangeben. Manche schieden aus dem Leben, ehe sie den erstrebten Gipfel des Ehrgeizes erreichten, während sie all ihre Kraft dafür einsetzten. Manche, die durch tausend Unwürdigkeiten zur höchsten Würde emporgeklettert waren, beschlich der traurige Gedanke, sie hätten sich selbst abgemüht für eine Grabschrift. Manchen, die im höchsten Greisenalter sich mit neuen Plänen, hoffnungsvoll wie in der Jugend, trugen, versagte mitten in ihren großen und verwegenen Entwürfen die erlahmte Kraft. Ein Schubiak (Betrüger), der in hohen Jahren als Anwalt für elende Händelsucher nach dem Beifall der umstehenden, unverständigen Menge haschend plötzlich vom Schlage gerührt ward! Schande über den, der, eher des Lebens als seines Tatendranges satt, mitten in seiner Geschäftstätigkeit zusammenbrach. Schande auch über den, der, mitten in der Abrechnung vom Tode überrascht, von den lange hingezogenen Erben verlacht ward. Ein Beispiel, das mir eben einfällt, kann ich nicht übergehen. Sextus Turannius war ein Mann von äußerster Gewissenhaftigkeit und dabei hochbetagt. Als er, schon ein Neunziger, von C. Caesar (Caligula) die Entlassung von der Stellung des Getreideverwalters ohne Ansuchen erhalten hatte, ließ er sich ins Bett bringen und von der umstehenden Dienerschaft beklagen, als wäre er gestorben. Das ganze Haus trauerte über den Ruhestand des hochbetagten Gebieters und ließ nicht eher ab von der Trauer, als bis ihm seine amtliche Tätigkeit wieder zurückgegeben war. Eine solche Lust also ist es, unter Geschäften zu sterben? So steht's mit der Sinnesart der meisten: ihre Gier nach Beschäftigung hält länger an als ihre Arbeitskraft; sie nehmen den Kampf mit der körperlichen Schwäche auf, die ihnen aus keinem anderen Grund schwer erscheint, als weil sie durch sie zur Ruhe verurteilt werden. Mit dem fünfzigsten Jahre hört dem Gesetze nach der Eintritt in den Kriegsdienst, mit dem sechzigsten der Eintritt in den Senat auf; die Menschen machen es sich selbst schwerer, zur Ruhe zu gelangen, als das Gesetz. Während sie so an sich und an anderen Raub begehen, sich einer dem anderen die Ruhe vergällen, sich gegenseitig unglücklich machen, verläuft das Leben inzwischen ohne Gewinn, ohne Freude, ohne jede geistige Förderung: niemand richtet die Augen auf den Tod, alle gefallen sie sich in weit aussehenden Entwürfen, manche treffen Verfügungen sogar über das, was über ihr Leben hinausliegt, über Grabdenkmäler von ungeheuren Abmessungen, über Stiftungen öffentlicher Anstalten, über Veranstaltungen an ihrem Scheiterhaufen und über prachtstrotzende Leichenbegängnisse. Aber wahrlich, ihre Bestattungen sollten, wie bei kleinen Kindern, zur Nachtzeit bei Fackelschein und Kerzenlicht vor sich gehen.


Inhaltsverzeichnis

Von der Gemütsruhe - Von der Seelenruhe
Vom glücklichen Leben
Von der Muße
Von der Kürze des Lebens
Von der göttlichen Vorsehung
Der Tod des Seneca